Didaktik
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Handreichung für Lehrerinnen und Lehrer

Entwurf einer Didaktik für eine Schulmediothek[1]

 Kaum sind einige Schulen mit einer „Schulbibliothek neuen Typs“[2] ausgestattet, verlangen die Fortschritte im Bereich von Multimedia und Internet ihre Fortentwicklung zu einer „Schulmediothek“.[3]

Während öffentliche Bibliotheken in den letzten Jahren immer mehr zu Mediotheken geworden sind, verwandeln sich Schulbibliotheken jetzt erst ganz vereinzelt in Schulmediotheken.

Initiativen der Kultusverwaltungen treiben Schulträger, Schulleitungen und Kollegien voran, eine „multimediale Lernumgebung“ für „neue Lernformen in der Schule“ zu schaffen. Dabei steht zunächst die Ausstattung der Schulen mit Hardware im Mittelpunkt. Es werden PC-Arbeitsplätze eingerichtet und Internetzugänge geöffnet, deren pädagogische Nutzung aber noch fast überall aussteht, weil meist noch an didaktisch-methodischen Konzepten fehlt..

Während eine öffentliche Bibliothek/Mediothek eine öffentliche Einrichtung ist und ihren Wert aus ihrem Nutzen für die Allgemeinheit erfährt, ist eine Schulbibliothek/-mediothek ein pädagogisches Instrument, das meist nur von geringem Nutzen für die Öffentlichkeit ist. Sie beweist ihren Wert hauptsächlich durch ihren Nutzen für Schule und Unterricht sowie durch ihre Akzeptanz bei Schülern und Lehrern.

Eine Schulbibliothek/-mediothek muss daher mehr sein als ein geordnetes Angebot von Medien (Büchern, Karten, Filmen, Tonträgern, CDs und einem Internetzugang), das möglichst viele Interessengebiete abdeckt.  Sie muss einer didaktischen Konzeption folgend ein Instrument oder Medium zur Erreichung pädagogischer Ziele sein. Daher wird der Bestand von den  kognitiven und/oder affektiven Lernzielen einzelner Richtlinien oder pädagogischer Konzepte her aufgebaut; aber nicht so, dass ein einzelnes Buch als Medium verstanden wird,  sondern so, dass eine Reihe von Büchern zusammen erst dies Instrument bildet. Bei entsprechendem pädagogischen und bibliothekarischen Einsatz verbessert sie schulisches Lernen und Leben daher qualitativ und eröffnet Möglichkeiten, die Unterricht mit traditionellen Medien (Tafel und Schulbuch) nicht bieten kann.

Die Abfolge der folgenden didaktischen Zielsetzungen (Lernziele) ist nicht als Rangfolge zu verstehen. Sie müssen für die jeweilige Schulform u.U. in anderer Reihenfolge oder können nur teilweise ausgewählt werden.

Sie erfüllen sich auch nicht von selbst; denn es sind sowohl

a)                      die sächlichen Voraussetzungen der Schulbibliothek/-mediothek zu bedenken als auch

b)                     die methodischen Möglichkeiten der Lehrkraft und

c)                      die Kenntnisse und Fertigkeiten der Schülerinnen und Schüler.

 Am ersten Lernziel soll exemplarisch gezeigt werden, was damit gemeint ist.

 1.     Die Schulbibliothek kann dem Schüler die unterschiedlichsten Lebens- und Denkmodelle vermitteln und ihm dadurch Anstöße geben, sein Denken und Verhalten kreativ und kritisch zu gestalten. Er lernt die Relativität von Wissen und Erkenntnissen kennen und schult dadurch Toleranz und Kompromissbereitschaft.

 zu a) Die Schulbibliothek muss im Bestand Titel haben, die die unterschiedlichsten Lebens- und Denkmodelle auch darstellen.

zu b) Die Lehrkraft sollte durch die Aufgabenstellung (evtl. durch einen Vergleich) die Relativität von Wissen auch sichtbar machen wollen.

zu c) Die Schülerinnen und Schüler müssen in der Informations- und Literaturbeschaffung geschult sein und Wertungen in Texten erkennen und vergleichen können.

2. Die Schulbibliothek kann - wie jede Bibliothek - der Leseförderung dienen. Einerseits  kann sie durch Bereitstellung ansprechender und angemessener Texte  helfen, die Lesefertigkeit der Schüler zu verbessern. Andererseits kann sie in  sinnerfassendes Lesen einüben und zu kritischem Lesen auffordern.

zu a) Setzt einen besonderen Bestand voraus.

3. Die Schulbibliothek kann Informationen bieten, die den Unterricht ergänzen und vertiefen, die eine Orientierung im Alltag erleichtern und die Teilhabe am öffentlichen Gespräch verbessern.

zu a) Setzt einen besonderen Bestand voraus.

4. Die Schulbibliothek kann dem Schüler freies und selbstbestimmtes Lernen bieten, weil er den Lernstoff und das Lerntempo seinen Bedürfnissen,  Neigungen und Möglichkeiten gemäß wählen kann, was den Lernerfolg verbessert.

zu b) Setzt besondere Methodenkenntnisse und Zeit voraus.

5. Die Schulbibliothek kann handlungsorientiertes Lernen - also "Lernen durch Tun" - einüben, weil der Schüler in der Bibliothek sein Lernen unter Anleitung selbst organisieren und planen kann. Der Bibliotheksunterricht kann die Arbeit in Projekten unterstützen, die Methoden der Gruppenarbeit und der Teamarbeit einüben und als sinnvoll erfahrbar machen; er lehrt und trainiert Arbeitsstrategien, so dass die Methode zum Lernziel wird.

zu b) Setzt besondere Methodenkenntnisse und Zeit voraus.

6. Die Schulbibliothek kann die Erfahrung vermitteln, dass man sich Informationen selbst holen und auswählen muss, um selbstbestimmt zu lernen und entscheiden zu können.

Alle gebrachte Information ist vom Überbringer aus dessen Interessenlage heraus vorausgewählt und bewirkt beim Schüler eine Konsumentenhaltung. Selbst in gute Absicht gekleidet, kann sie auf Bevormundung zielen.

zu b) Setzt besondere Methodenkenntnisse voraus.

7. Die Schulbibliothek kann den Schüler vertraut machen mit dem in Zukunft immer wichtiger werdenden "long-life-learning"; wenn er gelernt hat, eine Bibliothek sinnvoll zu nutzen, kann er z.B. eine später notwendig werdende Fortbildung oder Umschulung selbst mitgestalten.

zu a) Setzt einen besonderen Bestand voraus.

zu b) Setzt besondere Methodenkenntnisse voraus

8. Die Schulbibliothek kann sowohl hochbegabten als auch besonders förderungsbedürftigen  Schülern zusätzliche Lernangebote machen, die der Differenzierung dienen.

zu a) Setzt einen entsprechenden Bestand voraus.

9. Die Schulbibliothek kann durch Bereitstellung fremd- und zweisprachiger Texte die Integration ausländischer Schüler fördern und der interkulturellen Erziehung dienen.

zu a) Setzt einen entsprechenden Bestand voraus.

10. Die Schulbibliothek kann die besonderen pädagogischen Konzepte der Ganztagsschule, der vollen Halbtagsschule   oder der Verlässlichen Grundschule sinnvoll unterstützen. Sie kann im Offenen Unterricht - etwa bei der Freiarbeit oder der Wochenplanarbeit - einen zentralen Platz einnehmen.

zu b) Setzt besondere Methodenkenntnisse voraus.

11. Die Schulbibliothek kann in der Schule ein Ort der Begegnung sein und durch Ausstellungen, Dichterlesungen und andere kulturelle Veranstaltungen zum soziokulturellen Mittelpunkt des Schullebens werden.

zu a) Setzt eine besondere Einrichtung und einen entsprechenden Bestand voraus.

12. Die Schulbibliothek kann - neben dem kognitiven - auch das affektive Lernen der Schüler  durch die vielfältigsten Medien (wie: Bilder, Filme, Musik und Spiele)  fördern. 

Sie kann auch als Erlebnisraum  von hohem pädagogischem Wert sein und - bei entsprechender räumlicher Ausgestaltung und pädagogischer Betreuung - ein Freiraum sein, in dem Leistungsstress und Schulängste abgebaut werden können.  

zu a) Setzt eine besondere Einrichtung und einen entsprechenden Bestand voraus.

Zu b) Setzt ein besonderes Engagement und sozial-psychologische Kenntnisse voraus.

Die Schulbibliothek ist kein Konkurrenzunternehmen zur öffentlichen Bücherei am Ort. Sie unterscheidet sich von der öffentlichen Bibliothek dadurch, dass sie in die Bibliotheksbenutzung vorwiegend an unterrichtsrelevanten Inhalten einübt. Bestandsaufbau, Öffnungszeiten und Ausleihe werden durch die pädagogischen Ziele der Schule bestimmt. 

Das Verhältnis beider Bibliotheken zueinander orientiert sich an der "Empfehlung der Kultusministerkonferenz“ (Empfehlung der Kultusministerkonferenz zur Zusammenarbeit von Schulbibliotheken und öffentlichen Bibliotheken. SVBl. 1980 S. 153; ber. S. 373), die zu vielfältiger Zusammenarbeit von Schulbibliotheken und öffentlichen Bibliotheken auffordert.

          Zu b) Setzt ein besonderes Engagement und partnerschaftlichen Umgang mit den Kolleginnen und Kollegen der öffentlichen Bibliothek voraus.

Darüber hinaus sollten  von der Schulbibliothek aber auch Kontakte zum Theater, zu Kulturgesellschaften, Museen, Leseclubs, Bibliotheksgesellschaften etc. unterhalten werden, um das Schulleben in die kulturelle Welt vor Ort zu öffnen. 

            Zu b) Setzt ein besonderes Engagement voraus.


[1] Erste didaktische Überlegungen zu einem pädagogischen und unterrichtlichen Umgang mit einer „Schulbibliothek neuen Typs“ wurden 1991 im Rahmen des „Projektes Schulbibliotheken“ (MK Niedersachsen) entwickelt und veröffentlicht. Sie sind seitdem mehrmals überarbeitet worden:

A. Dock: Entwurf einer Didaktik für die Schulbibliothek. - in: Schulbibliothek aktuell. Berlin: Deutsches Bibliotheksinstitut, 1991, Heft 2, S. 98 - 101

Grundlegende Literatur:

·        Doderer, Klaus (Hrsg.): Die moderne Schulbibliothek. Bestandsaufnahme und Modell. Hamburg: Verlag für Buchmarktforschung, 1970.

·        Heckmann, Reinhold: Die Mediothek in der Schule. Essen: Neue Deutsche Schule Verlagsgesellschaft mbH, 1980.

·        Lehrbriefe Schulbibliothek. Hrsg.v. Deutschen Bibliotheksinstitut (Projektleiter: Andreas Papendieck) Berlin: Deutsches Bibliotheksinstitut, 1985. ( = Dbi Materialien, 40) 

·        Neumann, Helga: Die bildungspolitische und pädagogische Aufgabe von Schulbibliotheken. Würzburg: Königshausen und Neumann, 1988. 

·        Die Schulbibliothek – Ihre Nutzungsmöglichkeiten im Unterricht. Hrsg. Deutsches Bibliotheksinstitut Berlin: Deutsches Bibliotheksinstitut, 1990 (= Dbi-Materialien ; 91)

·        Grundlagen für Schulbibliotheken / Schulmediotheken. Hrsg. Deutsches Bibliotheksinstitut Berlin: Deutsches Bibliotheksinstitut, 1999 (= Materialien zur Schulbibliothek ; 1)

·        Die Schulmediothek im Unterrichtsprozess. Hrsg. Deutsches Bibliotheksinstitut (Dichanz/Hoebbel) Berlin: Ehem. Deutsches Bibliotheksinstitut, 2000 (= Dbi-Materialien ; 199)

·        Medienkonzepte für Schulen, Computereinsatz im Unterricht - In: http://www.n-21.de

[2] „Schulbibliotheken neuen Typs“ sind gekennzeichnet:

·        durch die zentrale Aufstellung aller Bücher, Zeitschriften und der anderen Medien einer Schule an einem Standort,

·        durch einen unterrichts- bzw. projektbezogenen Bestandsaufbau,

·        durch Freihandaufstellung in einem Raum mit einer ausreichenden Zahl an Arbeitsplätzen/Leseplätzen für eine Klasse, 

·        durch einen zentralen Etat für Bücher, Zeitschriften und die anderen Medien und

·        durch eine ausreichende Zahl an Stunden für die Betreuung der Schulbibliothek

Ich werde den Begriff "Schulbibliothek" auch weiterhin benutzen; weil er an den Schulen eingeführt ist. Es werden sich  - nach allen Erfahrungen - die neuen Angebote, die den Begriff "Schulmediothek" rechtfertigten, bald auch mit dem alten Begriff verbinden.  

[3] Die Veränderung einer „Schulbibliothek neuen Typs“ in eine „Schulmediothek“ ist gekennzeichnet durch

·        PC-Arbeitsplätze mit der Möglichkeit

·        ins Internet zu gehen,

·        Textverarbeitung machen zu können und

·        im Bestand der Schulmediothek zu recherchieren  

 
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