PISA und die Lesekompetenz
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Diskussionspapier für Lehrerinnen und Lehrer

PISA und die Lesekompetenz

Nun ist es heraus! Der blaue Brief ist da. PISA hat Noten verteilt. – Katastrophal! Jetzt gilt es, die gängigen Politiker-Rituale zu bemühen:

1. Der Sohn bekommt vom Vater erst mal eine gesalzene Abreibung und dann

2. eine Standpauke gewürzt mit einer

3. fettigen Selbstrechtfertigung; im Anschluss gibt es

4. einen Familienrat – ohne die Betroffenen und

5. dann dürfen wir uns gefälligst noch ein Beispiel nehmen.

Zu:

  1. Dpa und AFP titeln: „Lehrer tragen Schuld an der Schulmisere“ – da ist der Sündenbock doch schon mal gefunden. Aber wer hat die Ausbildung der Lehrer zu verantworten?
  2. Jürgens-Pieper (KM`n  Niedersachsen) nach dpa: „Ein Drittel der Lehrer bilden sich nicht fort“ und „hält an veralteten Lerninhalten fest“! Aber die überregionale Lehrerfortbildung für  „einfache“ Lehrer hat Jürgens-Pieper mit dem finanziellen Rotstift abgeschafft und durch regionale Liebhabernachmittage ersetzt und die Unterrichtsinhalte werden durch die Richtlinien, die im KM gemacht werden, vorgegeben.
  3. Jürgens-Pieper in einem Fernseh-Statement: „Wir sind auf dem richtigen Weg.“ – Sicher, das Niveau von Brasilien haben wir noch nicht erreicht; aber Lesen und Fußballspielen sind doch wohl noch zweierlei.
  4. Die Kultusministerkonferenz nach dpa: „Die Kultusministerkonferenz hat auf einer Sondersitzung in Bonn erste Konsequenzen aus der Schulleistungsstudie „Pisa“ angekündigt.“ Welche ?  Frau Jürgens-Pieper warnt nach lni „vor Schnellschüssen“, empfiehlt jedoch im selben Bericht „mehr Religionsunterricht in den Schulen“. Vielleicht hilft ja wirklich nur noch beten.
  5. Der ehemalige niedersächsische Kultusminister Prof. Wernstedt weiß Rat und Hilfe: "In Afrika gibt es Schulen, in denen unter einem Baum 50 Kinder begierig lernen."  Wünschen wir uns also afrikanische Bildungszustände und pflanzen wir vor allem mehr Bäume.

Unisono heißt es bei den Kultusministern: Sie gäben genug Geld für die Bildung aus, und auch mit mehr Geld sei das Problem nicht zu lösen.  - Ja, wie denn dann?  Über soviel Bescheidenheit werden sich die Ministerkollegen im Finanzressort freuen.

Der einzig "richtige Weg" für die Kultusminister wäre der Rücktritt; denn, wenn nicht sie, wer sonst sollte für diese Misere die politische Verantwortung übernehmen? Das würde sie gleichzeitig aus den Fängen der Finanzminister befreien, denen sie jahrelang als Milchkuh und Tanzbär in einem gedient haben. Böse Zungen behaupten inzwischen ja sowieso, dass die Bildungspolitik im Finanzministerium gemacht werde – mit dem Rotstift.; wenn nicht gerade der allmachtsgefühlige Landesvater aus seiner um ihn versammelten bildungspolitischen Inkompetenz in ihr Schulressort hineinregiert. Man könnte  - nach diesem Ergebnis - das Kultusressort glatt einsparen.

Wenn man seit fast vierzig Jahren als Deutschlehrer unterrichtet hat, und zwar gern; wenn man darüber hinaus in Funktionen als Koordinator und Berater (für Leseförderung) - auch bis zur Schmerzgrenze -  mit der Bildungsbürokratie zusammengearbeitet hat, dann kann man sich nach sechs Monaten im Ruhestand sicher noch ein Urteil über Lehrer und Unterricht erlauben:

Lehrer werden zwar relativ gut besoldet,

aber von ihren Dienstherren in der Regel schlecht behandelt.

Vergessen sind nicht:

  •  die „faulen Säcke“ (O-Ton Gerhard Schröder);

  • die Erhöhung der Regelstundenzahl;

  • die Erhöhung der Klassenfrequenzen;

  • die Verringerung der Möglichkeiten Klassen in pädagogisch besonders schwierigen Situationen zu teilen;

  • die Abschaffung der überregionalen Lehrerfortbildung;

  • die Abschaffung von Anrechnungsstunden für Arbeitsgemeinschaften und Projekte;

  • die Einführung von Präsenztagen; usw.

Das alles diente nicht einer Verbesserung der Motivation von Lehrerinnen und Lehrern, sondern eher der "Senkung der Arbeitsmoral". Ich erinnere mich noch, dass es einmal so etwas wie eine „Fürsorgepflicht“ des Dienstherren gab. Heute sorgt er dafür, dass der Verwaltungsaufwand bis in die Klassenzimmer hinein immer größer wird.

  • Dass Lesefähigkeit und Lesekompetenz der Schüler so sind, wie sie in der Studie dargestellt werden, haben Lehrer, denen Unterricht  wichtiger war als Mandate; Verbandsposten, Ehrenämter und Geschäftlichkeiten, gewusst.

  • Dass die vom Kultusministerium betriebene Leseförderung diese Mängel nicht beheben wird, hätte man im MK auch wissen können, wenn man  die Ergebnisse der "Beraterinnen und Berater für Schulbibliotheksarbeit und Leseförderung" zur Kenntnis genommen hätte. In der Dokumentation "LeseRäume" von 1994 gibt es deutliche Hinweise und in der 1996 abgelieferten "Evaluation" zur Maßnahme "Beraterinnen und Berater ..." werden die Schwachpunkte ebenfalls benannt.

Der auf meiner  Website eingestellte Text "Leseförderung" ist dem MK in Niedersachsen im Tenor seit Jahren bekannt - aber nicht genehm gewesen. Ein Grund dafür ist nach meiner Erfahrung auch, dass die Verwaltungsbürokratie oft gar nicht mehr weiß, wie es an der Basis in den Klassen zugeht und aussieht. Man sollte sich ernsthaft überlegen, ob nicht Minister und die anderen Bildungsverwalter nach einigen Jahren wieder an die Basis zurückwechseln, damit das Verständnis für die Alltagssituation in den Schulen wieder aufgefrischt wird.

Neben den Hinweisen auf meiner Website zum "Lesetraining" noch ein paar Bemerkungen zur Leseförderung und  den bisher gemachten Vorschlägen aus den Kultusministerien der einzelnen Länder auf die PISA-Studie:

Es mag sein, dass durch eine frühere Einschulung die Lesekompetenz verbessert werden kann; aber das Hauptübel scheint mir zu sein, dass besonders die Sek-I-Lehrer die Schüler nicht dort abholen, wo sie nach der Grundschule stehen; denn die Arbeit der Grundschullehrer ist - was die Vermittlung der Lesefertigkeit angeht - in der Regel gut. Da scheint mir die gegenwärtige Kritik an den Grundschullehrern  reichlich ungerecht. Es hat sogar den Anschein, dass - selbst im Gymnasium - die Lesefertigkeit zwischen den Klassen fünf und zehn bei manchen Schülern eher rückläufig ist. 

Wenn es in der Sek I und auch noch der Sek II um das Lesetraining geht, dann drücken sich die meisten Lehrer vor der Kernerarbeit des Lesetrainings, um sich bei ihren Schülern nicht unbeliebt zu machen. Sie ist aber bis zum Abitur notwendig. Häufig fehlt es dabei wegen der schlechten Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer auf diesem Feld an Ideen, diese Arbeit sinnvoll aus dem Unterricht erwachsen zu lassen, damit das Training weniger schmerzvoll  ist.

  Aber, es ist wie beim Laufen, ohne Muskelkater ist eine Leistungssteigerung nicht zu haben; denn auch :

Lesen lernt man nur durch Lesen  !

und das heißt: Üben, üben und noch viel öfter üben.

Auch in der Sek II könnte man etwas zur Verbesserung der Lesekompetenz tun: Im Kurssystem der Sek II sollte das Fach Deutsch in zwei Fächer zerlegt werden, und zwar in Deutsch/Literatur und Deutsch/Sprache. Die Kurse in Deutsch/Literatur sollten neben Kunst und Musik dem künstlerischen Aufgabenfeld zugeordnet werden. 

Es ist vertane Zeit, einige Stunden mit Schülern, die den Lektüre-Text nicht gelesen haben und die über dies Problematiken des 18. Jahrhunderts nur müde lächeln können, über "Emilia Galotti" oder über Ferdinand und Luise zu "philosophieren". Verzichtet man auf diese Lektüre und würde die gewonnene Zeit für die Förderung der Lesekompetenz einsetzen, so ist der von vielen   Bildungsanachronisten  befürchtete und vielbeschworene "Untergang des Abendlandes" leichter  zu verkraften, als Lesekrüppel aus der Schule zu entlassen. 

Die Kurse in Deutsch/Sprache aber sollten dreistündig und durchgängig verpflichtend sein, damit die Kommunikationsfähigkeiten wie Lesen und Schreiben, sowie die Vermittlung von Methoden des Lernens mehr Raum bekommen und eine Verstetigung erfahren.

Und noch eine letzte Bemerkung: Es gab früher die Forderung, dass "Deutsch Unterrichtsprinzip" aller Fächer sei. Diese Forderung sollte man wieder beleben und durch die Gesamtkonferenz zur Verpflichtung  in jeder Schule machen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Lehrer dafür auch  ausgebildet worden sind.

Alles, was nur Schulleiter und andere Funktionsträger beschäftigt und nicht unmittelbar auf den Schüler und seinen Unterricht zielt, um seine Bildung und Ausbildung zu verbessern, mag pressewirksam sein (siehe: "Region des Lernens" oder "N 21"), aber es bringt oft nicht viel mehr als geistige Blähungen hervor, die Zeit und Geld kosten, das dauerhaft nicht zur Verfügung gestellt werden kann. Bei den Schülerinnen und Schülern und in ihrem Unterricht kommt davon jedoch meist nichts an; aber bei allem, was man sonst so für wichtig und richtig hält (z.B. "Schulreform" oder "Abschaffung der OS"), gilt es  den Unterricht zu verbessern.
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